Das Impostor-Syndrom überwinden: so werden Tierärzte/innen ihre Selbstzweifel los

Obwohl ich mein ganzes Leben immer gute Noten hatte, wurde ich durch meine akademische Erfahrung im Tierarztstudium etwas eingeschüchtert. Meine Freunde und ich witzelten zwar oft über unsere mittelmäßigen Noten, insgeheim bekam mein Selbstbewusstsein allerdings einen Knacks. Wie gern würde ich behaupten, dass die negative innere Stimme nach dem Studium wieder verstummt ist, aber in Wahrheit blieb sie mein ständiger Begleiter – und damit bin ich in meinem Beruf in guter Gesellschaft. Ich erinnere mich noch genau an viele Situationen im Behandlungsraum, als ich keinen blassen Schimmer hatte, welche Schritte im vorliegenden Fall als nächstes eingeleitet werden sollten, aber einfach darauf hoffte, dass ich mit der Zeit mehr Sicherheit gewinnen würde.

Heute bin ich häufig als Rednerin unterwegs – nach wie vor mit einer inneren Stimme, die mir hartnäckig Selbstzweifel einredet. Auch wenn sie nicht mehr ganz so laut ist, bringt sie mich doch noch immer dazu, meine Fähigkeiten, meine Intelligenz und meine Erfolge in Frage zu stellen. Man kann mir noch so oft sagen, dass ich gute Arbeit leiste – es sickert einfach nicht wirklich durch.

Mittlerweile weiß ich, dass es einen Namen dafür gibt: Impostor-Syndrom (IS) oder Hochstapler-Syndrom.

Was ist das Impostor-Syndrom?

Der Begriff "Impostor-Syndrom" wurde in den späten 1970er-Jahren von zwei Psychologen geprägt, nachdem sie eine Studie mit 150 hochqualifizierten Frauen durchgeführt hatten, die zugaben, sich häufig trotz ihres Erfolgs nicht intelligent genug zu fühlen und ein geringes Selbstwertgefühl zu haben. Das Hochstapler-Phänomen setzt sich aus zwei Faktoren zusammen: einer Selbstvertrauenskrise, die wiederum aus Zweifeln an den eigenen Fähigkeiten und Kenntnissen hervorgeht.

Heute verwendet man den Begriff Impostor-Syndrom, um erfolgreiche Menschen zu beschreiben, die nicht dazu in der Lage sind, ihre Erfolge zu verinnerlichen, da sie befürchten, als Betrüger oder Hochstapler enttarnt zu werden. Das zentrale Element dieses Phänomens ist die Angst, andere könnten früher oder später erkennen, dass man lediglich ein intellektueller Hochstapler ist. Das Impostor-Syndrom äußerst sich auf unterschiedliche Weise: Bei manchen manifestiert es sich als leise und störende innere Stimme, die sich in schwierigen Situationen bemerkbar macht, bei anderen wiederum als geistige Lähmung, die sie davon abhält, ihre Träume zu verwirklichen.

Menschen, die am Impostor-Phänomen leiden, bereiten sich oft bis ins kleinste Detail vor, schieben gleichzeitig aber auch häufig Aufgaben vor sich her. Das IS lauert in den Köpfen der Betroffenen und zehrt an den mentalen Kapazitäten, die anderenfalls eingesetzt werden könnten, um schwierige Fälle zu lösen, berufliche Träume zu verfolgen oder sich auf die Familie zu konzentrieren.

Läuft im Hintergrund das IS auf Dauerschleife, fordert es einen Tribut von der betroffenen Person sowie von ihren Freunden, Kollegen und geliebten Menschen.

Vielleicht glauben Sie, dass Ihr Impostor-Syndrom Sie überhaupt erst dorthin gebracht hat, wo Sie heute stehen – weit gefehlt. Der Erfolg eines vermeintlichen Hochstaplers wird durch den Wunsch getrieben, Scham zu vermeiden. Des Weiteren kam eine Studie von Frontiers in Psychology zu dem Ergebnis, dass das IS mit schlechteren Leistungen im Beruf, verminderter Karriereplanung, geringem Interesse an Führungspositionen, einer niedrigeren Zufriedenheit mit dem Beruf und einer höheren Wahrscheinlichkeit für einen Verbleib in beruflichen Sackgassen korreliert. Das ernüchternde Fazit: Das IS nimmt und nimmt, ohne etwas zurückzugeben – nichts außer negativen Gefühlen und einer Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten.

Was beim Impostor-Syndrom hilft

Die gute Nachricht: Das IS lässt sich überwinden, sobald einem bewusst geworden ist, was dahintersteckt. Wir teilen drei Schritte mit Ihnen, durch die Sie dem Syndrom den Wind aus den Segeln nehmen:

1. Nehmen Sie Ihre Gefühle ernst und akzeptieren Sie sie

Sich wie ein Hochstapler vorzukommen wird als normale Entwicklungserfahrung betrachtet. In den meisten Fällen verblassen diese Gefühle im Laufe der Zeit wieder – einer der Vorteile des Älterwerdens. Bemerkt man bei sich eine solche Wahrnehmung, ist es daher ratsam, sich nicht zu sehr davon zermürben zu lassen und immer daran zu denken, dass sich die eigene Perspektive mit großer Wahrscheinlichkeit wieder ändern wird. Wir alle kämpfen bis zu einem gewissen Grad mit derartigen Gefühlen, doch sie sagen deshalb noch lange nichts über uns als Person aus.

2. Finden Sie heraus, was Ihre Hochstaplergefühle auslöst

Überlegen Sie, ob Sie in letzter Zeit von Ihrer Selbstwahrnehmung als Hochstapler überwältigt wurden, und falls ja, wann. Möglicherweise ist es passiert als Sie:

  • eine neue, große Herausforderung für Ihre Praxis in Erwägung gezogen haben;
  • auf ein Problem gestoßen sind und dabei immer wieder in eine Sackgasse gerieten;
  • eine Patientenakte an einen Spezialisten übermittelt haben;
  • einen Misserfolg erlitten haben oder jemandem begegnet sind, den Sie für eine/n bessere/n Tierarzt/ärztin halten.

Wenn Sie Ihre persönlichen Trigger kennen, können Sie sich besser auf negative Gedanken oder trügerische Gefühle einstellen, sobald Sie wieder einmal von solchen überkommen werden.

3. Machen Sie immer weiter

Je weniger Aufmerksamkeit Sie diesen negativen Gedanken und Gefühlen schenken, desto kleiner und unbedeutender werden Sie Ihnen schließlich erscheinen. Bis dahin gilt: lassen Sie sich nichts anmerken. Verhalten Sie sich, als wüssten Sie genau, was Sie tun. Mehr Erfahrung schadet nie. Als ich zum ersten Mal öffentlich gesprochen habe, hatte ich bis dato noch nie vor einem großen Publikum gesprochen. Ich war unglaublich nervös. Trotzdem habe ich diese Gefühle beiseitegeschoben, in dem Wissen, dass hinter meiner Angst meine Freiheit wartete.

Abschließend bleibt zu erwähnen, dass es keine Schande ist, sich professionelle Hilfe zu suchen oder einen Mentor zu finden. Unser Beruf ist sehr kräftezehrend und viel zu oft fällt das Thema 'Mentale Gesundheit' unter den Tisch. Wenn Sie glauben, dass Sie durch das Impostor-Syndrom ausgebremst werden, holen Sie sich Unterstützung.

Sarah Wooten
DVM, CVJ

Dr. Sarah Wooten machte ihren Abschluss 2002 an der UC Davis School of Veterinary Medicine und übernimmt heute eine Vorreiterrolle in den Bereichen Veterinärmedizin und Tiergesundheitsversorgung. Sie besitzt über 10 Jahre Erfahrung als Vortragsrednerin sowie in der Öffentlichkeitsarbeit und verfasst Beiträge für eine große Zahl an Online- und Printpublikationen auf dem Gebiet der Tiergesundheit. Dr. Wooten arbeitet seit 2015 als Vortragende in der veterinärmedizinischen Weiterbildung und behandelt in dieser Rolle Themen wie Führungskompetenz, Kundenkommunikation und persönliche Entwicklung. Darüber hinaus ist Dr. Wooten eine zertifizierte Veterinärjournalistin, Mitglied der AVMA und besitzt 16 Jahre Berufserfahrung in einer Kleintierpraxis. Daneben ist sie eine der Entwicklerinnen des beliebten Kartenspiels „Vets against Insanity“. In ihrer Freizeit findet man sie beim Skifahren in Colorado oder beim Haitauchen in der Karibik. Keine halben Sachen. Weitere Informationen finden Sie auf drsarahwooten.com. Die in diesem Beitrag behandelten Ansichten und Standpunkte sind die der Autorin und spiegeln nicht zwangsläufig die Ansichten von The Vetiverse oder IDEXX wider.